Wie empathielos kann man sein?

Oma liegt im Sterben im Krankenhaus. Patientenverfügung wurde angefragt. Oma liegt da und betet vor sich hin.

Opa ist nicht mehr mobil, sitzt im Altersheim.

Normalerweise kümmert Papa (Sohn der beiden) sich um alles, teils auch Mama (Schwiegertochter der beiden).

Generell gilt bei uns in der Familie, dass niemand niemandem zur Last fallen will. Prinzipiell sind alle hilfsbereit, aber am meisten wird man geschätzt, wenn man es schafft, sein Leben selbst im Griff zu haben.

Oma und Opa waren fast 60 Jahre zusammen. Auch die letzte Zeit im Altersheim. Im ersten Coronalockdown war es bei Oma schon mal so weit, Besuch war strengstens verboten (Coronaregeln...), sie hat sich emotional nie von dieser Phase erholt. Sie wusste nicht mehr wer und wo sie ist. Ganz ganz übel. Sie hat damals dann (wider Erwarten) überlebt, aber sich arg verändert.

Diesmal ist es anders, man darf sie ja besuchen.

Papa sagt, das ist aber kein schöner Anblick. Ich bin trotzdem hin. Kein schöner Anblick, ja, aber ich hab mit ihr gebetet, sie wirkte überglücklich, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Hat mich erkannt. Auf die Frage wies ihr geht tapfer mit "gut" geantwortet.

Papa sagt, Opa kann nicht hin, weil nicht mobil. Also hab ich Opa besucht. Opa hat tapfer rezitiert: ich kann nicht hin, ich bin ja nicht mobil. Ich hab ihn gefragt: Opa. Wenn du mobil wärst, würdest du hin wollen? Er hat sich tapfer die Tränen verkniffen und gesagt: ja selbstverständlich! Aber er kann ja nicht hin, ist ja nicht mobil.

Also hab ich Papa ignoriert und angeboten: mein Mann und ich können dich hinbringen. Das schaffen wir schon! Wenn du das willst, bringen wir dich hin!!

Tags darauf hat Opa seinen ganzen Mut zusammen genommen (ich kenne ihn. Das hat Überwindung gekostet.) Und hat angerufen. Wir standen ne Stunde später parat, haben ihn eingepackt und hingebracht. Wo das Problem liegt hab ich persönlich nicht verstanden. Die ganze Aktion hat inklusive Fahrt in die nächste Stadt zum Krankenhaus und zurück keine zwei Stunden gedauert. Opa überglücklich, Oma so glücklich, wie ihr Zustand eben zulässt. Keine Probleme. Opa natürlich auch nicht gestürzt. Alles fein.

Wir haben Opa angeboten, ihn die kommenden Tage auch wieder zu fahren.

Morgen (Montag) muss Mama sowieso mit Opa in die Stadt, wegen Hörgerät. Das macht sie alle paar Monate mit ihm. Nicht ohne schon Wochen vorher zu meckern. Natürlich war nie geplant, auch ins Krankenhaus zu fahren, er ist ja nicht mobil (🤨).

Nun hat Opa bei uns natürlich gesehen, dass das doch problemlos funktioniert, und möchte daher dann auch noch ins Krankenhaus gefahren werden. Sind ja eh in der Stadt.

Nun ruft Mama bei mir an um zu lästern, dass sie da nun auch noch mit ihm hin muss. Papa stimmt völlig zu, er war doch schließlich heute schon da. Das war so nicht geplant und der Mann macht ja so so viel Arbeit.

Ich hab gesagt, ok, dann fahren wir ihn wieder, wir haben morgen Zeit.

Was? Nein! Mama muss doch sowieso in die Stadt, und noch hierhin und noch da hin. Aber doch nicht ins Krankenhaus, da war er doch heute schon.

Ich hab gesagt, für uns ist das überhaupt gar kein Problem. Wir fahren ihn. (Wir müssen morgen eh auch in die Stadt, das hab ich nicht mal erwähnt. Wozu auch?)

Mama sagt nee, du ich nehm ihn ja immer mit wenn ich eh in die Stadt muss, und dann fahr ich ja noch hierhin (beruflich) und noch da hin (privat - nennen wir es mal Shopping(!!)) und das gefällt dem Opa doch immer so, dass er aus dem Haus kommt und mal was anderes sieht. Du brauchst morgen nicht schon wieder einspringen. Und im Krankenhaus war er doch heute schon. Papa blubbert mit, dass der alte Mann nun auch noch seinen Enkeln zur Last fällt und dass ich keinesfalls schon wieder fahren soll.

Ich hab mich echt zusammen gerissen höflich zu bleiben. Aber jetzt mal im Ernst. Der alte Mann soll seiner Schwiegertochter lächelnd beim Shopping zuschauen, während seine Frau im Krankenhaus stirbt????? Wie kommt man überhaupt auf so eine dämliche Idee?!

Ich hab also gesagt: WENN die Oma diesmal stirbt, ist das vielleicht seine letzte Chance Abschied zu nehmen. Das wollt ihr ihm verweigern?

Betroffenes Schweigen in der Leitung.

Nun ja, wir sind so verblieben, dass Mama ihn fährt. Sie wird ihn schon irgendwie ins Krankenhaus rein kriegen.

Aber ehrlich: mir passt das gar nicht. Wir sind heute respektvoll vor der Tür geblieben, damit Opa nicht vor uns weinen muss. Mama hat diesen Respekt nicht. Sie wird ihm auch nicht die Zeit geben, die er braucht. Sondern daneben stehen und drängen, dass es weiter geht. Oh Mann, der Opa tut mir so so so leid.

Ich werde morgen anrufen und das doch noch umplanen. Wir übernehmen den Fahrdienst. Soweit so gut.

Aber trotzdem liege ich nun wach und denke mir: wie kann man denn nur so sein?!

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Wie kann man nur so sein - das denkst du jetzt von deinen Eltern und wirst es dir für immer merken und so wirst du auch mit Ihnen weiter umgehen.
Deine Kinder aber werden vielleicht ein ganz anderes Bild von deinen Eltern haben und nie verstehen, warum du ein bisschen schroffer reagierst wenn es um sie geht und auch genau das von dir und deinem Partner unfair finden.
Na, machts klick?
Wir sind alle das, was Erfahrungen aus uns machen.

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Mhmm. Verstehe ich. Da kannst du schon Recht haben.

Da muss ich daran denken, wie Mama immer war, als meine Urroma ins Altersheim kam (objektiv betrachtet hätte sie da schon viel früher hin gehört). Wie kann man nur so sein, hat Mama gesagt, die alte Frau ins Altersheim abschieben. Wenns bei Oma und Opa mal soweit ist, pflegt sie sie.

Da war natürlich keine Rede mehr von, als es soweit war. Oma und Opa kamen ohne Umwege direkt ins Altersheim. (Objektiv betrachtet ebenfalls völlig richtig und das einzig Sinnvolle. Für mich aber natürlich mit Beigeschmack.)

In dem Fall hoffe ich für meine Eltern wohl, dass ihre Enkel dann irgendwann auch mal einspringen... Oder dass ich mich besser im Griff hab.

Danke für den Gedanken.

Bearbeitet von Inaktiv
4

Ich finde toll, wie du dich um deine Großeltern sorgst und kümmerst und auch, wie du auf Anregung von Keks36 deine Haltung reflektieren kannst.
Vielleicht sprichst du auch noch mal in Ruhe mit deinen Eltern darüber. Erinnerst sie daran, wie sie damals "wie kann man so sein" gedacht haben, sagst ihnen aber auch, dass du ihr Verhalten nun verstehen kannst, weil du mit einem Blick von außen erkannt hast, wie es für sie damals war.
Vielleicht können sie dann immer noch nicht mehr Empathie für Opa und Oma empfinden und das ist auch ok, aber vielleicht können sie dann besser akzeptieren, dass du gerne auch mal Dienste für Opa übernimmst und Opa dir damit nicht zur Last fällt.
Ich wünsche dir und deiner Familie alles Gute und viel Kraft

Bearbeitet von ebelin
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Zerbrich dir nicht den Kopf deiner Eltern, du steckst nicht in ihnen drin.

Aber, wenn du es deinem Opa ermöglichen kannst, die Oma zu besuchen, dann mach das doch einfach. Du brauchst doch dafür nicht die Erlaubnis deiner Eltern. Nur der Opa und du spielen da eine Rolle.

Und schlußendlich haben wir alle doch schon mal gesagt, das wir a oder b niemals so machen würden....udn was wurde dann manchmal daraus?

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Hi,

man weiß halt nie was zwischen den Eltern und Kindern vorgefallen ist.
Finde es trotzdem super schade, dass dem Opa nicht die Möglichkeit gegeben wird. Sie könnte ja auch den Opa ins Krankenhaus bringen und währenddessen einkaufen gehen.

Bei uns ist das zum Glück anders gewesen und alle haben Oma und Opa Biel besucht. Ich bin oft täglich mit Oma mit dem Rollstuhl vom Pflegeheim ins Krankenhaus gelaufen, weil ich sie alleine nicht ins Auto bekommen habe. Sie war so dankbar.

Von daher finde ich es richtig gut, dass du das machst.
Ich war allerdings auch immer mit drin und habe sie dann weinen gesehen. Das fand ich aber nicht schlimm. Ich habe dann Trost angeboten.

Ich würde nochmal mit deinen Eltern sprechen und nochmal fragen was das Problem ist. Wieso das so schlimm ist, ihm zu ermöglichen ins Krankenhaus zu kommen und wie die beiden es denn später in derselben Situation gerne hätten?
Ob denen es dann egal wäre, wenn der Partner mit dem man schon fast das ganze Leben verbringt dort alleine stirbt und man sich nicht verabschieden kann oder ob sie auch hinfahren wollen würden.
Und eben auch, dass sie nicht so verbittert sein sollen.

Vielleicht bringt es was, wenn man den Spiegel vorhält. Vielleicht auch nicht. Aber ich würde es versuchen.

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Ich würde die beiden (Eltern) mal fragen, wie sie es sich denn für sich selber wünschen, falls sie mal in dieser Lage wären.

Anonsten möchte ich sagen, dass du eine tolle Enkelin bist!!!

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Es gibt ja zwei Seiten, ich fokussier mich jetzt Mal nur auf eine:
Alles richtig gemacht. Bitte klink denke Eltern aus und gib Opa noch die Möglichkeit.

Wir haben nach über 60 Jahren zusammen einen von beiden gehe lassen müssen und der verbleibende hat sich gut adaptiert und lebt auch jetzt noch eine gute Zeit.
Das wünsche ich deinem Opa auch.

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Es ist sehr anstrengend, Eltern jahrelang beim langsamen Sterben zuzuschauen. Vielleicht geht deinen Eltern auf den letzten Metern die Kraft aus. Kenne ich aus Erfahrung. Finde ich toll, dass du dich engagierst, vielleicht kannst du in Zukunft den Opa zur Oma bringen? LG

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Hey!

War denn deine Mutter schonmal anders oder schon immer ein kleines "Lästermaul"?

Ich sehe es in meiner SF so, dass da schon immer viel gelästert, wenn irgendwas nicht nach dem Geschmack lief. Jetzt ist ein Mitglied schlimm krank, verhält sich dadurch unpassend- aber eben nach dem Krankheitslehrbuch- und Schwiegermutter zieht vom Leder in einer Tour. Ganz ehrlich: Ich hoffe, ich werde nie krank und von ihnen abhängig sein. Aber es ist wohl ihre Art.

Liebe Grüße
Schoko

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Sorry wenn ich das so sage, ihr habt Opa 1. freiwillig gefahren und 2.fiel er euch dann wohl kaum zur Last.
Deine Mutter hat doch den Schuß nicht gehört. War sie schon immer so? Seine Frau liegt im Sterben und er darf nicht mal zu ihr hin? So ein mieses Pack. Sorry wenn ich hier etwas ausfällig wurde, aber sowas macht mich sauer.

Ela

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Respekt!
Ich bin selber aus der Pflege (Krankenhaus und Altenheim) und kenne die ein oder andere Situation.
Ich kann mir aber auch vorstellen das die Situation deinen Eltern „unangenehm“ ist. Vielleicht eine Art Selbstschutz nicht täglich die Sterbende Mama/Schwiegermutter zu sehen?
Oft erlebt.
Sogar das die eigenen Kinder deshalb nicht zum verabschieden kommen. Und das ist ok!!

Ich danke dir das du „Opa“ den vielleicht letzten Abschied ermöglichst. Auch wenn sein Bedürfnis nach Jahrzehnten Ehe in 2 Besuchen täglich da ist.
Danke für soviel Nächstenliebe 🥲❤️

Ganz ganz ehrlich gemeinte liebe Grüße 🫂 und viel Kraft 🍀